… den stellvertretenden Schulleiter am Dalton-Gymnasium Alsdorf, der am offenen Pädagogischen Tag am St.-Ursula-Gymnasium in Freiburg einen Impulsvortrag hielt und darin das Konzept der Dalton-Pädagogik und dessen Umsetzung an seiner Schule vorstellte.
- Welche persönlichen Erfahrungen haben Sie bisher mit der Dalton-Pädagogik gemacht – was hat Sie überzeugt, was vielleicht auch überrascht?
„Was mich an der Daltonpädagogik von Anfang an überzeugt hat, ist der Grundgedanke, den Schülerinnen und Schülern echte Verantwortung für ihr eigenes Lernen zu geben. Wenn sie selbst entscheiden dürfen, wann und wie sie eine Aufgabe angehen, erlebt man oft, wie sie regelrecht aufblühen und Verantwortung tatsächlich spüren. Viele entwickeln durch das ihnen entgegengebrachte Vertrauen einen gewissen Ehrgeiz, wo vorher häufig eine eher passive Haltung zum Lernen erkennbar war.
Dieses Verhalten kann man bis heute vor allem innerhalb der jüngeren Klassen deutlich erkennen.
Meines Erachtens ist es zentral, den Schülerinnen und Schülern Freiräume zu geben, ihnen Vertrauen zu schenken und gleichzeitig verlässliche Strukturen und Rahmenbedingungen anzubieten. Man erkennt sehr schnell, dass sie deutlich eigenverantwortlicher arbeiten können, als wir Lehrkräfte, die gerne alles selber unter Kontrolle haben, manchmal zutrauen.
Überrascht hat mich, wie schnell viele Kinder und Jugendliche diese Form des Arbeitens annehmen. Sie nehmen die Verantwortung an, die auf sie übertragen wird und nutzen die Freiheiten, die Daltonschulen ihnen einräumen in sehr großen Teilen äußerst verantwortungsvoll. Auf der anderen Seite ist ihnen auch sehr daran gelegen, diese Freiheiten auch zu behalten. Wir beobachten immer wieder, dass Schülerinnen und Schüler es sehr schätzen, klassenübergreifend an Daltonaufgaben zu arbeiten, sich mit anderen über die Aufträge und Projekte zu unterhalten und auch, dass sie sehr daran interessiert sind, eine Wertschätzung für die geleistete Arbeit zu erhalten.
Natürlich bedeutet diese veränderte Arbeitsweise auch für uns Lehrkräfte zunächst eine Umstellung: Wir sind nicht mehr diejenigen, die ständig vorne stehen und erklären, sondern im besten Sinne die Schülerinnen und Schüler begleiten, beraten und Orientierung sowie geeignete Hilfestellungen geben. Zusammenfassend ist es wahrscheinlich genau das. was den Reiz für mich ausmacht – je mehr wir den Kindern ihren eigenen Lernweg gehen lassen, desto näher sind wir an den individuellen Lernwegen der Kinder dran und können Ihnen möglichst persönlich dabei zur Seite stehen und Teil der Entwicklung sein.
- Wo erleben Sie in der täglichen Praxis Herausforderungen, und was hilft Ihnen dabei, trotzdem dranzubleiben und weiterzumachen?
Eine echte Herausforderung ist für mich der Zwiespalt zwischen dem Wunsch Schule im Sinne der wirklichen Bedürfnisse unserer Schülerinnen und Schüler zu verändern und den häufig zu starren schulischen Systemen, die diese eigentlich gut gemeinten und längst überfälligen Reformansätze für viele beinahe unmöglich erscheinen lassen.
Genau hier zeigt sich die Stärke von Dalton: Die Daltonpädagogik setzt die Schülerinnen und Schüler in den Mittelpunkt allen pädagogischen Handelns. Es geht darum, den bestmöglichen Unterricht zu ermöglichen – und dies unter Einbezug der Eigenverantwortung und der Selbstständigkeit unserer Schülerinnen und Schüler. Es geht nicht darum, als Einzelkämpfer*in neue Konzepte umzusetzen, sondern gemeinsam an einem Strang zu ziehen.
Dalton bedeutet für uns auch, dass wir im Kollegium deutlich stärker zusammenarbeiten – sei es bei der Planung, Lernplan- und Klausurerstellung oder einfach im täglichen Austausch über Unterricht. Zusammenarbeit als ein wesentliches Merkmal der Daltonpädagogik gilt eben nicht nur für Schülerinnen und Schüler, sondern insbesondere auch für uns Lehrkräfte, für Schulleitungen und letztlich für alle, die am Lernprozess beteiligt sind. Viele kluge Köpfe können Unterricht deutlich besser gemeinsam planen und umsetzen als jede Lehrkraft für sich alleine. Dies ist auch vor dem Hintergrund der zunehmenden Teilzeitquoten in den Kollegien ein unschätzbarer Vorteil. Zusammenarbeit entlastet nicht nur jede einzelne Lehrkraft, sondern schafft auch deutlich mehr Vergleichbarkeit für unsere Schülerinnen und Schüler.
Ein besonderer Mehrwert liegt auch in der Offenheit, von anderen zu lernen, voneinander im positiven Sinne abzugucken und dies als eine Selbstverständlichkeit im Sinne der Entlastung und Teamarbeit zu verstehen.
Dieser regelmäßige Austausch und das gemeinsame Ziel, für unsere Schülerinnen und Schüler das Beste rauszuholen, motivieren ungemein. Ich erlebe bei uns im Team einen großen Zusammenhalt und eine gemeinsame Überzeugung: Dass wir mit Dalton etwas Sinnvolles und Zukunftsfähiges tun, nämlich unsere Schülerinnen und Schülern zu selbstständigen, eigenverantwortlichen und auch kritischen Denkern zu erziehen. Und wenn man dann noch spürt, dass Dalton eben auch den Zusammenhalt in der Schulgemeinde durchaus nachhaltig prägt, dass auch hier Zusammenarbeit und Unterstützung selbstverständlich sind und Schülerinnen und Schüler auch jahrgangsstufenübergreifend Lernen und das jeden Tag, dann ist das eben eine deutlich veränderte Lernkultur, die Dalton ermöglicht.
- Welche Chancen sehen Sie für unsere Stiftungsschulen durch Dalton, und wo sollten wir besonders aufmerksam sein, um Stolpersteine frühzeitig zu erkennen und zu umgehen?
Dalton ist viel mehr als ein Unterrichtsmodell – es geht darum, eine Haltung zu bewegen. Wenn man gemeinsam als Kollegium und auch als Schulleitung in die gleiche Richtung denkt und Schule nachhaltig verändern möchte, dann ist Dalton sicherlich ein für alle Beteiligten gewinnbringender Ansatz. Mehr Eigenverantwortung, mehr Miteinander und Zusammenarbeit auf allen Ebenen und vor allem mehr individuelle Zeit für Schülerinnen und Schüler.
Gerade bei der Zusammenarbeit und dem bereits erwähnten Austausch kommt der Vernetzung innerhalb der Stiftungsschulen ein unschätzbarer Wert zu. Hierdurch wird nicht nur der Blick über das eigene Klassenzimmer und die damit verbundene Teamarbeit im Stufen-Team ermöglich, sondern auch der Austausch über die eigene Schule hinaus. Dies eröffnet völlig neue Möglichkeiten, Unterricht dynamisch weiterzuentwickeln, die Qualität zu steigern und letztlich auch die Motivation zu erhöhen, diesen Weg gemeinsam zu gehen.
Der kollegiale Austausch über Inhalte, wie er an jeder Daltonschule zum Alltag gehört, setzt sich im Sinne der Vernetzung der Stiftungsschulen demnach in einer logischen und vor allem unfassbar produktiven Art fort. Die Stiftung als eine Art Überbau zu verstehen, der dies Zusammenarbeit fördert, unterstützt und eben Rahmenbedingungen schafft, um all dies zu ermöglichen, ist ein großer Luxus, den sich viele staatliche Schulen sicherlich wünschen würden.
Diese Vernetzung kann eine unglaubliche Bereicherung sein, da durch das Teilen von Ideen, Materialien, Erfahrungen eben nicht jede Schule für sich alleine auf dem Weg ist – oder auch mal einen Irrweg eingeschlagen hat -, sondern gemeinsam daran gearbeitet wird, die Schule der Zukunft auf die Schülerinnen und Schüler dieser Generation abzustimmen.
Aber: Dalton funktioniert sicherlich nicht auf Knopfdruck. Es reicht nicht aus, Lernpläne von anderen Schulen abzuschreiben, in die Klassen und Kurse zu geben und zu erwarten, dass Schülerinnen und Schüler die ihnen anvertraute Zeit direkt intrinsisch motiviert zum Lernen nutzen. Die Einführung von Dalton ist ein Prozess, der ebenfalls ganz viel mit der Haltung zu Schule im Allgemeinen, aber auch zum eigenen Verständnis der Rolle einer Lehrkraft zu tun hat. Letztlich geht es darum, sich immer wieder mit der Frage auseinander zu setzen „Warum machen wir Unterricht genauso, wie wir es tun?“ Daltonschulen setzen die Lernenden in den Mittelpunkt und versuchen von dieser Basis aus, alle Rahmenbedingungen so zu schaffen, dass die Schülerinnen und Schülern – ebenfalls in einem Prozess – eigenverantwortlich, kooperativ und nachhaltig an ihr Lernen herangehen und ihre Lehrkräfte als Unterstützung bei diesem Prozess verstehen. Unserer Erfahrung nach wachsen Schülerinnen und Schüler sehr schnell in dieser Rolle hinein und entwickeln sich im Laufe ihrer Schullaufbahn genau im Sinne von Helen Parkhurst, die sagte: „Dalton is not a system, it´s a way of life.“